Aus der Serie „Das Einmaleins der Wiener Bezirkspolitik“: Sind die Wiener Bezirksvertretungen reich, mächtig und – zumindest innerhalb der Bezirksgrenzen – berühmt? Wir versuchen diese Fragen anhand der offiziell verfügbaren statistischen Daten zu erörtern. Heute: Rudolfsheim-Fünfhaus – ist im armen Schmuddelkind-Bezirk die Wahl egal?
Auf die stolze Summe von 13.764.254 € belaufen sich die jährlichen Ausgaben für die 23 Wiener Bezirksvertretungen mit insgesamt 1144 Mandatarinnen und Mandataren, davon – in unterschiedlichen Anteilen männlichen und weiblichen – 23 Bezirksvorstehern, 46 Stellvertretern, 118 Klubvorsitzenden und 957 ‚einfachen‘ Bezirksvertretern. Viel Geld für viel Verantwortung, möchte man meinen.
Doch liest sich die Aufgabenliste der hoch dotierten Bezirksparlamente recht ernüchternd: nicht näher definierte ‚Mitwirkungsrechte‘, etwa bei der Gestaltung von Spielplätzen und Verkehrsstraßen, wenig kompetent klingende ‚Anhörungsrechte‘ in diversen Stadtbau-Fragen sowie die Befugnis zur Verwaltung des – von der Gemeinde fest vergebenen – Bezirksbudgets stehen den 23 Grätzlparlamenten zu. Nicht nur in finanziellen Fragen unfrei, unterstehen die Bezirkspolitiker ohnehin in letzter Instanz dem Bürgermeister, der aufgrund der administrativen Doppelrolle Wiens auch Landeshauptmann – und sowieso ein Mann von Welt ist.
Die Frage, wozu solch hohe Geldsummen für die Unterhaltung der minimal kompetenten Bezirksvertretungen aufgebracht werden, stellt sich in Rudolfsheim-Fünfhaus besonders laut: Hier, wo das durchschnittliche Brutto-Jahresgehalt bei 23.542 € liegt, gab bei der Bezirksvertretungswahl im Herbst 2015 nicht einmal jeder Sechste seine Stimme ab.
Rudolfsheim-Fünfhaus: Einst Schmuddelkind, nun Hipster-Traum – oder doch nicht?
Vor Jahren noch war der 15. Wiener Gemeindebezirk aufgrund der hohen Kriminalität als „Rudolfscrime“ verschrien und gelangte sogar in der deutschen Presse als Schmuddelkind von Wien zu zweifelhaftem Ruhm. Heute werden in der Berichterstattung weitaus weniger skeptische, wenn nicht gar euphorische Töne angeschlagen: Allen voran die Reindorfgasse als „Hipster-Traum“, als Vorzeige-Projekt in Sachen Grätzlaufwertung hat es vielen Hippen, Urbanen und Kreativen angetan. Mehr als die Hälfte der 76.320 Einwohnerinnen und Einwohner in Rudolfsheim-Fünfhaus sind jünger als 40 Jahre.
Auch scheint Rudolfsheim-Fünfhaus längst kein typischer „Arbeiterbezirk“ mehr zu sein: laut den zuletzt verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2011 besitzen 36 % der Bezirksbevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren einen höheren Bildungsabschluss.
Trotz der vielen Euphorie und Aufbruchsstimmung ist dies aber noch immer der ärmste Bezirk Wiens: Ein hier gemeldeter Arbeitnehmer bekommt jährlich 23.542 € brutto. Platz 2 und 3 der Einkommensstatistik belegen übrigens die Brigittenauer mit 24.942 € und die Bewohner Favoritens mit 25.863 €. Auch bei der Arbeitslosenquote bilden Rudolfsheim-Fünfhaus mit 13,00 %, Brigittenau mit 13,80 % und Favoriten mit 13,29 % die Top 3.
Laut der offiziellen Statistik aus dem Jahr 2014 sind 49 % der Bevölkerung in Rudolfsheim-Fünfhaus „Personen mit ausländischer Herkunft“, sie sind also „entweder im Ausland geboren und/ oder besitzen eine ausländische Staatsangehörigkeit.“ Dieser Höchstwert hat dem Bezirk seinen Ruf als „Migrantenbezirk“ eingebracht, denn wienweit haben durchschnittlich nur 36 % der Bevölkerung eine so definierte ausländische Herkunft. Unklar bleibt hierbei, wie viele dieser Personen im Bezirk trotz Geburt im Ausland möglicherweise die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten haben und somit auf allen Ebenen wahlberechtigt sind – deshalb ist dieser Wert im Zusammenhang mit der Wahlberechtigung der Bezirksbevölkerung nicht einwandfrei verwendbar.
Das Wiener Wahlrecht und der 15. Bezirk: Keine Wahl oder Wahl egal?
Vor dem Wiener Wahlrecht sind nicht alle Ausländer gleich: Bei den Gemeinderats- und Landtagswahlen sind nur in Wien gemeldete österreichische Staatsangehörige über 16 Jahre wahlberechtigt. Bei der Wahl der 23 Bezirksvertretungen hingegen dürfen auch Bürgerinnen und Bürger aller EU-Staaten abstimmen. In Rudolfsheim-Fünfhaus machte diese Gruppe im Wahlherbst 2015 mit 11.636 Personen immerhin mehr als ein Fünftel der Wahlberechtigten aus.
Das Problem: Nicht einmal drei Fünftel der 51.727 Wahlberechtigten machten von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Eine mögliche Erklärung für diese niedrige Wahlbeteiligung hängt zusammen mit der Zahl der erwähnten EU-Staatsangehörigen: Es ist durchaus denkbar, dass ein – vielleicht sogar großer – Teil der betreffenden Gruppe gar nichts vom Stimmrecht auf Bezirksebene wusste.
Die Bezirksvertretung in Rudolfsheim-Fünfhaus: Wer tut was?
Die 50 Mitglieder der neuen Bezirksvertretung wurden am 19.11.2015 im Magistratischen Bezirksamt in der Gasgasse angelobt. Diese konstituierende Sitzung war ein besonderer Termin, denn erstmals wurde das Geschehen aus dem Inneren des Festsaals, wo im Normalfall sogar Fotografierverbot herrscht, mittels Livestream im Fernsehen, nämlich auf OktoTV, übertragen. Die Aufzeichnung steht auf der Bezirkshomepage zum Abruf bereit.
An sechs Terminen wird das Bezirksparlament in Rudolfsheim-Fünfhaus im Jahr 2016 offiziell zusammentreten; bei diesen öffentlichen Sitzungen sind Interessierte auf den Publikumsplätzen willkommen – das Recht, sich zu Wort zu melden, bleibt dem meist überschaubaren Publikum jedoch verwehrt. Diskutiert und zur Abstimmung freigegeben werden Themen und Anträge, die von den Mitgliedern zuvor in den nicht öffentlich tagenden Ausschüssen und Kommissionen festgelegt wurden. Dazu gehören in diesem Jahr diverse Projekte zur Gestaltung und Nutzung öffentlicher Flächen wie etwa die oftmals hitzig diskutierten Vorschläge zur Wiederbelebung des Schwendermarktes, bei denen auch aufgrund der mangelnden Kompetenzen bis dato keine greifbaren Resultate sichtbar sind. Auch die Entwicklung und Durchführung neuer Verkehrskonzepte steht auf der Agenda – aufgrund der beschränkten Befugnisse der Bezirksvertretung werden jedoch auch hier maximal die Errichtung von Ampelanlagen und Zebrastreifen oder bezirksübergreifenden und daher ohnehin bereits auf Gemeindeebene konzipierten Radfahrer-freundlichen Verkehrsstrecken beschlossen.
Das befugnisarme Amt des Bezirksvorstehers ist in Rudolfsheim-Fünfhaus ebenso wie in den anderen 22 Wiener Gemeindebezirken mit 10.042 € Brutto-Monatsgehalt dotiert und wird 14 mal jährlich ausbezahlt. Die Wiener Stadtverfassung sieht für dieses Amt zwei gleichrangige Stellvertreterposten mit jeweils 4.292 € brutto pro Monat vor – einen von der regierenden und einen weiteren von der zweitstärksten Partei im Bezirk. Die Parteien, die mit mindestens zwei Mandaten gewählt wurden und die sogenannte „Klubstärke“ erreichen, dürfen je einen Klubvorsitzenden stellen, der monatlich 1.287 € brutto bezieht. In Summe betragen die Bezüge der 50 Bezirksvertretungsmitglieder in Rudolfsheim-Fünfhaus jährlich also rund 600.000 €.
Die 50 Angelobten: Wer ist drin?
Die 50 verfügbaren Mandate in der Bezirksvertretung besetzen 30 Männer und 20 Frauen im Alter von 20 bis 73 Jahren. Drei Fünftel von ihnen gehören der Altersgruppe der 40- bis 64-Jährigen an. Diese 30 Mandatarinnen und Mandatare sind somit im Verhältnis überrepräsentativ im Vergleich zur Bezirksbevölkerung, wo diese Altersgruppe nicht einmal zwei Fünftel ausmacht. Während die unter 40-Jährigen im Bezirk 46 % der Gesamtbevölkerung stellen, ist diese Gruppe in der Bezirksvertretung mit nur 14 Personen, also 28 % vertreten. Die restlichen sechs Mandate werden von der Generation 65+ besetzt, die auch in der Bezirksbevölkerung mit 16 % die kleinste Altersgruppe stellt.
Die SPÖ als stimmenstärkste Partei stellt den zum dritten Mal wiedergewählten Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal, Jahrgang 1960. Seine Stellvertreterin Merja Biedermann, 1980 geboren, hält gleichzeitig den Klubvorsitz der Bezirks-SPÖ. Von den 20 gewählten Sozialdemokraten sind elf männlich und neun weiblich; nur vier von ihnen sind jünger als 40 Jahre.
Der zweite, von der FPÖ als zweitstärkste Partei gestellte Bezirksvorsteher-Stellvertreter ist der Kriminalbeamte Karl Schwing, Jahrgang 1963. Lediglich drei der 13 gewählten Freiheitlichen sind unter 40, nur vier von ihnen sind Frauen und lediglich drei sind unter 40 Jahren alt.
Den Vorsitz der elf GRÜNEN-Mandatarinnen und -Mandatare hält der 1967 geborene Angestellte Christian Tesar. Seine Partei wird von fünf Männern und sechs Frauen vertreten, von ihnen sind sechs jünger als 40 Jahre.
Die ÖVP, deren Mandate sich im Vergleich zur letzten Wahlperiode auf drei halbiert haben, vertritt der 1965 geborene Kaufmann Peter Estfeller. Alle drei Parteiangehörigen, zwei Männer und eine Frau, sind älter als 50 Jahre.
Die erstmals angetretenen NEOS vertritt der 47-jährige Sozialtherapeut Andreas Leszkovsky. Sein Parteikollege ist 22 Jahre jung. Einziger Mandatar der ebenfalls neu vertretenen Partei ANDAS ist Dietmar Zach, ein 1965 geborener Politikwissenschaftler.
23 der 50 Bezirksvertretungsmitglieder führen einen oder mehrere akademische Titel im Namen. Zu ihnen zählt die Hälfte der 20 SPÖ-Vertreterinnen und -Vertreter, vier der 13 Freiheitlichen, sieben der elf GRÜNEN, ein ÖVP-Mandatar und der ANDAS-Vertreter.
Die Kandidatinnen und Kandidaten – wer stand zur Wahl?
118 Männer und 81 Frauen kandidierten in 9 Parteilisten für die Bezirksvertretung in Rudolfsheim-Fünhaus. Interessant ist hier vor allem der Altersvergleich gegenüber der Bezirksbevölkerung mit der Frage, wie die einzelnen Altersgruppen von welchen Parteien vertreten wurden. Mehr als die Hälfte aller Anwärterinnen und Anwärter war zwischen 40 und 64 Jahren alt und somit im Vergleich zur Bezirksbevölkerung – vor allem zulasten der jüngeren Generationen – überrepräsentiert.
Die größte Kandidatenzahl in SPÖ, FPÖ und der erstmals kandidierenden EUAUS-Partei bildete die Gruppe der 40- bis 64-Jährigen. Bei diesen drei Parteien waren die Jüngeren eher rar vertreten – ebenso wie bei der ÖVP, die als ‚älteste‘ Partei ins Rennen ging: sie stellte nicht nur den ältesten aller Amtsanwärter aus dem Jahrgang 1932 auf Listenplatz 11, auch waren 13 der 18 KandidatInnen älter als 40 Jahre.
In der Liste der GRÜNEN lag die Altersverteilung zugunsten der Jüngeren: hier stellten die unter 40-Jährigen fast die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten. Die im doppelten Sinne ‚jungen‘, da erstmalig antretenden Parteien NEOS, ANDAS und „Gemeinsam für Wien“ stellten keine Kandidatinnen und Kandidaten der Altersgruppe 65+; elf der 14 NEOS waren jünger als 40.
72 der 199 Kandidatinnen und Kandidaten gaben in ihren Personalia einen oder mehrere akademische Titel an. Die ‚akademischste‘ Partei waren die GRÜNEN: 18 ihrer 29 Bewerberinnen und Bewerber führen einen akademischen Titel im Namen. Auch im Wahlvorschlag der SPÖ fanden sich immerhin 31 von 83 Akademikerinnen und Akademiker.
Auffällig an der SPÖ-Liste ist auch die Länge: Wenngleich für alle antretenden Parteien nur 50 Mandate zur Verfügung standen, stellten die Sozialdemokraten ganze 83 Personen zur Wahl. Hier machte insbesondere der Kandidat auf Listenplatz 50 von sich reden: Maximilian Zirkowitsch alias ‚#bezirkowitsch‘ versuchte mit seiner satirischen Kampagne und Parolen wie „Du Opfa, gib Stimme“ laut eigenen Angaben, die häufig inhaltsleeren Wahlversprechen vor allem der konkurrierenden Parteien zu verspotten.
Auch die FPÖ-Liste bot eine auffallende Personalie: Bundespartei-Klobobmann und Nationalratsabgeordneter Heinz-Christian Strache kandidierte nicht nur als Spitzenkandidat für die Wiener Gemeinderatswahl, sondern auch als Listenletzter der Freiheitlichen in Rudolfsheim-Fünfhaus – ebenso wie in den anderen 22 Wiener Gemeindebezirken.
Die Vorzugsstimmen – Wer kennt wen?
Seit 1996 ermöglicht die Wiener Gemeindewahlordnung die Vergabe sogenannter Vorzugsstimmen mit folgender Erklärung: „Erhält eine Kandidatin/ein Kandidat genügend Vorzugsstimmen, so kann sie/er in der Liste vorgereiht werden und hat damit bessere Chancen auf ein Mandat.“ Diese Stimme gilt jedoch nur, wenn sie einer Person gegeben wird, die auch der gewählten Partei angehört.
Der Nutzen dieser Vorzugsstimmen ist in Frage zu stellen: Zum einen steht es den Parteien frei, wie sie mit den eingebrachten Vorzugsstimmen ihrer KandidatInnen verfahren, da laut Erklärung ein/-e KandidatIn vorgereiht werden kann, aber nicht muss. Unklar ist auch, wie viele solche Vorzugsstimmen für eine tatsächliche Vorreihung benötigt werden.
Zum anderen machte in Rudolfsheim-Fünfhaus nicht einmal ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler von dieser Vorzugsstimmenvergabe Gebrauch bzw. waren wegen der Parteibindung nicht alle der abgegebenen Vorzugsstimmen gültig. Die Inanspruchnahme dieses Verfahrens setzt nämlich voraus, dass die Wähler unter den 199 Kandidatinnen und Kandidaten eine oder einen namentlich kennen, favorisieren und auf dem Wahlzettel an der richtigen Stelle angeben.
Die Partei „Gemeinsam für Wien“ schien die nachhaltigsten WählerInnenkontakte zu haben: Mehr als ein Viertel ihrer Wählerschaft gab auf dem Wahlzettel auch den Namen eines Lieblingskandidaten an. Am wenigsten nutzten die Vergabe von Vorzugsstimmen die FPÖ-Anhänger: Gerade mal 16% von ihnen vergaben gültige Präferenzen. Das Kuriose hierbei: Der letztplatzierte Heinz-Christian Strache erhielt 509, also fast die Hälfte der 1.150 FPÖ-Vorzugsstimmen; 231 weitere gingen an Karl Schwing, den Spitzenkandidaten der Freiheitlichen im 15. Bezirk.
Die meisten, also genau 614 Vorzugsstimmen innerhalb der SPÖ erhielt der wiedergewählte Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal, gefolgt vom bereits erwähnten Spaßkandidaten Maximilian Zirkowitsch – dieser erhielt immerhin 362 Vorzugsstimmen, die dennoch nicht ausreichten, um von seinem Listenplatz 50 eine wählbare Position zu erhalten.
Die Sinnfrage dieses Verfahrens wird in den Reihen der GRÜNEN besonders deutlich: mehr als 50% der Vorzugsstimmen gingen an die drei Listenvorderen – wenn die Bestplatzierten ohnehin die meisten Vorzugsstimmen erhalten, führt das die ursprünglich vorgesehene Funktion dieser Stimmenvergabe nicht ad absurdum?