Care-Arbeit in Österreich

Von Lara Schimpf und Aylin Yilmaz

 

Who cares?

Warum Österreichs Haushalte hinterherhinken und uns das kümmern sollte

 

Nach einem langen Arbeitstag wird der Mann strahlend von seiner Frau begrüßt. Das Haus ist geputzt, die Kinder umsorgt und das Essen steht am Tisch. Was stark an die Rollenbilder der 50er erinnert, wird auf Tiktok-Accounts von sogenannten „Stay-at-Home Girlfriends“ (Partnerinnen, die zu Hause bleiben) als Privileg gefeiert. Ein Privileg, das ohne finanzielle Zukunftsvorsorge für problematische Abhängigkeitsverhältnisse sorgen kann. Um sich der Dependenzfalle zu entziehen, muss in den meisten Fällen doch eines her: Arbeit. Aber wer hält dann den Haushalt am Laufen?

 

@kendelkay

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♬ original sound – kendel kay

 

Care-Arbeit oder auf Deutsch Fürsorgearbeit bezeichnet Tätigkeiten rund um Pflege und „Sich kümmern“. Darunter fallen Kinderbetreuung und -erziehung, Pflege von Angehörigen sowie Haushaltstätigkeiten und Reparaturarbeiten. Mittlerweile wird auch bezahlte Arbeit im Pflege- und Kinderbetreuungsbereich unter Care-Arbeit gefasst. Laut Statistik Austria sind Frauen in Österreich 3h42min täglich mit Hausarbeit beschäftigt, während Männer 1h58min dafür aufwenden. Diese Zahlen sind allerdings von 2008. Es folgt ein Blick darauf, was sich seither in der gerechten Aufteilung von Care-Arbeit getan hat.

 

Überraschende Ergebnisse bei Europavergleich

Das Europäische Institut für Gender Equality (EIGE) veröffentlicht ausführliche Daten, die sich um Geschlechtergerechtigkeit drehen. Jedes Jahr wird ein Index, basierend auf Daten in den Bereichen Gesundheit, Arbeit, Geld und mehr, erstellt. Diese Daten werden aus Befragungen hergenommen, zum Beispiel Eurofound und deren Erhebungen zu Lebensqualität (EQLS), und anschließend ausgewertet und zu übergeordneten Fragen zusammengefasst. Obwohl der Index jedes Jahr erscheint, werden teilweise Daten aus einem spezifischen Vorgänger-Jahr benutzt. Die unten dargestellten Visualisierungen reichen nur bis 2015, da ab diesem Jahr keine neuen Befragungen zu diesen Themen durchgeführt wurden und sich so die Zahlen auch nicht ändern.

Aus allen europäischen Ländern wurden für diesen Artikel, neben Österreich und dem EU-Durchschnitt, vier Länder ausgewählt, die eine geografische und auch eine politische Bandbreite abdecken sollen. So war die Hypothese bei Frankreich etwa, dass dort Care-Arbeit gerechter aufgeteilt sein könnte, da eine gute Kinderbetreuung schon lange etabliert ist und es für Frauen zur Normalität gehört, nach der Geburt rasch wieder in den Job zurückkehren. Auch Schweden hat den Ruf eines Landes, in dem die Gleichberechtigung schon weiter fortgeschritten ist. Deutschland wurde wegen der geografischen und kulturellen Nähe zu Österreich gewählt und Ungarn als Gegenpol in die Auswertung mit reingenommen. Wegen der konservativen ungarischen Regierung wurde angenommen, dass auch in Haushalten eine traditionellere Rollenverteilung herrschen könnte.

Überraschenderweise zeigen die Daten von EIGE ein anderes Bild als angenommen. Frauen in Frankreich kümmern sich mit 45,6%  am meisten um Kinder und Ungarinnen sind mit 30,1% nur knapp über Schwedinnen (29,5%). Die Zahlen wirken allgemein sehr niedrig. Eine Erklärung könnte sein, dass nicht nur nach der täglichen Kinderbetreuung gefragt wird, sondern auch nach Betreuung von anderen Personen in der Familie. Auch die Fragestellung hat sich über die Jahre etwas verändert. Bei der Befragung 2002 wurde nur nach Kinderbetreuung und Betreuung von älteren oder behinderten Verwandten gefragt. In 2015 wurde zusätzlich nach Enkelkindern, Nachbar*innen und Freund*innen  gefragt. Von 2010 bis 2012 verringern sich die Zahlen in Ungarn, Schweden und Deutschland merklich, was auf die geänderte Fragestellung zurückzuführen sein könnte.

 

 

Bei den Männern sind es auch die Franzosen (29,4%), die die meiste Care-Arbeit im Bereich Kindererziehung und Pflege verrichten. EU-Schnitt ist bei den Männern 25% und bei den Frauen 37%. Von 2010 bis 2012 verringern sich die Zahlen in Ungarn, Schweden und Deutschland merklich. Auch bei den Frauen ist hier in den meisten ausgewählten Ländern eine Veränderung nach unten zu sehen.

 

 

Deutlich mehr Frauen stehen hinter dem Herd

Ebenso wird die zweite Frage, die für Care-Arbeit relevant ist, sehr allgemein gehalten. “Machen Sie jeden Tag Haushaltstätigkeiten oder kochen Sie?” Was unter Haushalt verstanden wird, kann aus den EIGE-Daten nicht herausgelesen werden. Auch hier stammen die letzten Daten aus dem Jahr 2015.

Wer die Arbeit im Haushalt großteils erledigt, ist dafür jedoch recht eindeutig. Nicht nur in Österreich, sondern europaweit - wie die untenstehende Grafik zeigt. Wieder überrascht Ungarn. Nur 56% der Frauen in Ungarn kochen oder erledigen täglich den Haushalt. Das ist einiges unter dem EU-Durchschnitt von 78%. Bei den Männern schafft es nur Schweden über die 50% Hürde. Eine Verbesserung ist dort und in Österreich zu vermerken. Österreichs Männer steigen von 11% in 2010 zu 28% ab 2012 auf. Damit liegt Österreich knapp unter dem europäischen Durchschnitt von 32%. Es kommt auch bei diesen Zahlen zu großen Veränderungen von 2010 auf 2012. Hier könnte die Fragestellung die Ursache sein: Zuerst wurde nach Hausarbeit UND Kochen gefragt, ab 2012 nach Hausarbeit UND/ODER Kochen.

 

 

Wie verbringen Frauen und Männer ihre Zeit?

Da diese Fragestellung ungenau ist, bietet die Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria einen genaueren Einblick in die Tätigkeiten von Österreicher*innen. Bei dieser Erhebung werden ca. 8.200 Personen ab zehn Jahren dazu angehalten, für einen Tag ein Tagebuch zu führen, in dem alle Tätigkeiten niedergeschrieben werden, die länger als 15 Minuten dauern. 2022/2023 findet die mittlerweile vierte Erhebung statt. Die Ergebnisse sollen im ersten Halbjahr 2023 vorliegen. 

Öffentlich zugänglich befinden sich auf der Website von Statistik Austria nur Daten von der Erhebung 2008. Der Vorgang der Datenerhebungen 1981 und 1992 war anders und ist daher nicht gut vergleichbar. Tätigkeiten haben sich zum Beispiel im Laufe der Zeit verändert und wurden neu kategorisiert. Dennoch geben die Daten aus 2008 Einblicke in die unbezahlten Tätigkeiten der Österreicher*innen. 

Im folgenden Balkendiagramm ist die Zeitverwendung für Haushaltstätigkeiten abgebildet. Es wurden nur jene ausgewählt, die auch in ausreichendem Ausmaß dokumentiert wurden (über 35% aller Teilnehmenden haben diese Tätigkeit erfasst). Die Grafik zeigt, Frauen liegen bei Haushaltstätigkeiten deutlich vorne.

 

 

Unterschiedliche Wahrnehmung der Care-Arbeitsbeteiligung zwischen Frauen und Männern

Geschlossene Schulen und Kindergärten, Homeoffice und Lockdowns - Kinderbetreuung ist vor allem in Pandemiezeiten ein großes Thema. Die wohl aktuellsten Daten stammen aus einer Studie des European Institute for Gender Equality aus dem Jahr 2021, worin Menschen im Alter von 20-64 Jahren zu Themen wie Kinderbetreuung, Haushalt und flexibles Arbeitsabkommen während der Coronapandemie befragt wurden.

Dabei sticht eines hervor: Die Wahrnehmung von Frauen und Männern differenziert sich. So finden sowohl EU-weit als auch in Österreich mehr Männer als Frauen, dass beide Geschlechter ungefähr gleichbeteiligt an der Aufsicht von Kindern gewesen seien. Außerdem geben 59% der befragen Frauen und nur 11% der befragten Männer in Österreich an, dass sie sich hauptsächlich alleine um die Kinder gekümmert haben. Damit liegt Österreich mit der Beteiligung der Männer unter dem EU-Schnitt von 23%. Haushaltsfremde Personen wurden kaum eingestellt.

 

 

Wird genauer ins Detail gegangen, so geben während der Pandemie 40% der Frauen in Österreich an, die (Enkel-)Kinder täglich mehr als 4 Stunden zu betreuen. Damit befindet sich Österreich im EU-Schnitt. Bei den Männern in Österreich sind es 20%, der EU-Schnitt 21%.

 

 

Auch oder gerade während Pandemiezeiten muss sich neben Kindern ebenso um den Haushalt gekümmert werden. Ein von der Grafik zur Kinderbetreuung bereits bekanntes Phänomen tritt auch in der Beantwortung dieser Frage auf: Österreich- und EU-weit haben mit 43% bzw. 40% deutlich mehr Männer als Frauen (23% bzw. 22%) das Gefühl einer gleichmäßigen Aufteilung. Komplett oder meistens übernehmen nach den Angaben mit 68% wesentlich mehr Frauen Haushaltsarbeiten als Männer (15%).  Auch hier schneidet Österreich schlechter ab als der EU-Schnitt.

 

 

Fazit 

Egal ob "Stay-at-Home Girlfriend" oder nicht, Frauen in der EU übernehmen den Großteil der Care-Arbeit. Österreichs Männer verbringen laut den Daten noch weniger Zeit mit Hausarbeiten und Kinderbetreuung als im EU-Durchschnitt. Dennoch schneiden andere EU-Länder mit der Verteilung von Care-Arbeit teils nicht wesentlich besser ab oder liefern überraschende Ergebnisse, wie etwa Frankreich oder Ungarn. Trotz konservativer Regierung wirkt letzteres im Care-Arbeits-Vergleich fortschrittlicher als Österreich.

Ist Österreich folglich rückschrittlich? Dass die "50er-Jahre Hausfrau" generell wieder im Kommen ist, davon kann nicht gesprochen werden. Eine wirkliche Verbesserung ist aber in den Daten ab 2010 auch nicht erkennbar. Abzuwarten bleibt die kommende Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria. Drastische Veränderungen sind jedoch vermutlich nicht erwartbar. Faktoren wie der Gender-Pay-Gap, wonach Männer bei gleicher Arbeit immer noch mehr verdienen als Frauen, oder mangelndes Kinderbetreuungsangebot vor allem in ländlichen Kreisen können neben stereotypen Ansichten dazu beitragen, dass Frauen in Österreich immer noch vermehrt die Care-Arbeit übernehmen. Von Gerechtigkeit oder Gleichstellung kann bei unbezahlter Care-Arbeit in Österreich also nicht gesprochen werden. Die Denkfabrik Momentum Institut empfiehlt dahingehend etwa eine verpflichtende Väterkarenz und ein Verbot von ungleicher Bezahlung für dieselbe Arbeit.

Doch warum sollte uns die Geschlechterdiskrepanz überhaupt kümmern? Weil sie negative Auswirkungen auf Frauen hat. Wenn eine finanzielle Abhängigkeit besteht, ist es beispielsweise für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, schwieriger, dieser zu entkommen. Teilzeitarbeit, schlechter bezahlte Jobs, Gender-Pay-Gap, unbezahlte Care-Arbeit: das alles kumuliert für viele Frauen in der Armutsgefährdung im Alter. Um dem zu entkommen, braucht es Reformen - politische, wie auch gesellschaftliche. In diesem Sinne: Frauen, raus aus den Küchen.