Spätestens seit den anhaltenden Protesten der Fridays-for-Future Bewegung, die eine schnelle Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaabkommens fordert, ist Nachhaltigkeit in aller Munde. Dabei wird oft vergessen, dass sich die Vereinten Nationen bereits 2015 auf 17 Ziele für eine umfassende nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen des menschlichen Lebens bis 2030 geeinigt haben. Österreich ist bei vielen Unterzielen auf einem guten Weg, bei einigen allerdings entfernen wir uns von den Zielwerten.
Alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich bei der UN-Vollversammlung 2015 zur Umsetzung der „UN-Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung“ verpflichtet. Mit 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals – kurz SDGs) wird in der Agenda 2030 festgeschrieben, was von den Mitgliedsstaaten auf globaler, nationaler und regionaler Ebene bis 2030 erreicht werden soll. Überziele sind zum Beispiel Ziel 1 „No Poverty (Keine Armut)“, Ziel 5 „Gender Equality (Gleichheit der Geschlechter)“ und Ziel 13 „Climate Action (Maßnahmen gegen den Klimawandel)“. Diese Überziele sind dann nochmals in einzelne Unterziele unterteilt, die sich wiederum meistens auf sogenannte Indikatoren stützen, mit denen die Zielerreichung messbar gemacht werden kann.
Die Daten für das Monitoring der Erreichung dieser Ziele werden von den jeweiligen Statistikinstitutionen der Mitgliedsländer gesammelt und aufbereitet. Im Falle der Europäischen Union ist das EUROSTAT und auf nationaler Ebene in Österreich die Statistik Austria. Die Datenbasis ist in vielen Bereichen noch unzuverlässig, beziehungsweise werden oft nicht ausreichend Daten erhoben, um klare Aussagen über die Zielerreichung und die Indikatoren treffen zu können.
Prinzipiell steht Österreich als eines der reichsten Länder des globalen Nordens bei der Erreichung vieler Unterziele der SDGs gut da. Laut Statistik Austria lässt sich nach Auswertung der Daten von 2010 bis 2019 bei 61 von insgesamt 79 untersuchten Nachhaltigkeitsindikatoren ein positiver oder sehr positiver Trend erkennen. Trotzdem gibt es auch einige Unterpunkte, wo sich Österreich immer weiter vom Ziel entfernt und dabei spielt auch die Corona-Pandemie eine Rolle.
Die Corona-Krise hat in bestimmten Bereichen eine direkte Auswirkung auf die Erreichung der Ziele. So ist beispielsweise durch die Ausbreitung des Virus die Erreichung des Ziels 3 “Gesundheit und Wohlergehen” konkret bedroht. Die Wirtschaftskrise, die mit der Gesundheitskrise einhergeht, hat Auswirkungen auf das Ziel 8 “Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum”. Die Statistik Austria sieht zusätzlich einen starken vorwiegend negativen Einfluss auf die Erreichung von Ziel 1, Ziel 4, Ziel 5, Ziel 9 und Ziel 10. Bei den Unterzielen “Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser” (Teil des Ziels 6) oder der “verlässlichen Versorgung mit Energie” (Teil des Ziels 7) kann hingegen bereits jetzt von einer vollständigen Zielerreichung bis 2030 ausgegangen werden kann.
Den aktuellen Stand hat die Statistik Austria Mitte November 2020 in dem sogenannten Indikatorenbericht zusammengefasst, dessen Ergebnisse in diesem Beitrag vereinfacht visualisiert werden sollen. Da es den Umfang dieses Projekts sprengen würde, auf alle 17 Ziele einzeln einzugehen, liegt der Fokus insbesondere auf jenen Unterzielen und Indikatoren, bei denen sich Österreich in den vergangenen Jahren laut dem Letztstand des Indikatorenberichts der Statistik Austria signifikant von den Zielwerten wegbewegt hat, also wo man von einem (sehr) negativen Trend sprechen kann.
Immer mehr Wohnungslose in Österreich
Der Indikator “registrierte Wohnungslose” des Ziels 1 “Keine Armut” bzw. des Unterziels 1.2 weist in den vergangenen Jahren seit 2008 in Österreich einen klar negativen Trend auf. Die Zahl der Menschen, die in die statistische Klassifizierung “Registrierte Wohnungslosigkeit” fallen, ist deutlich angestiegen. Wichtig ist zu wissen, dass es sich hierbei um Menschen handelt, die in Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht und dort auch gemeldet sind. Mit diesem Indikator werden also all jene Menschen, die in Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit leben und nirgends registriert ist, gar nicht erfasst.
Es ist davon auszugehen, dass es durch die Corona-Krise sowohl bei der Anzahl an Menschen, die in registrierter Wohnungslosigkeit leben, als auch bei der Anzahl an Menschen in Obdachlosigkeit weiter zu einem Anstieg kommt.
Definition Obdach-/Wohnungslosigkeit: Laut einem Bericht der BAWO, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe, umfasst die Definition von obdachlos, jene Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, die über keinen festen Wohnsitz verfügen und in Notschlafstellen schlafen. Als wohnungslos gelten Menschen, die temporär oder dauerhaft in einer Trägerwohnung der Wohnungslosenhilfe wohnen.
Hepatitis B wirklich am Vormarsch?
Die Inzidenz der Ausbreitung des Virus Hepatitis B ist ein Indikator des Ziels 3 “Gesundheit und Wohlergehen” bzw. des Unterziels 3.3. Die Statistik Austria hat in ihrem Bericht für diesen Indikator eindeutig einen signifikant negativen Trend festgestellt.
Betrachtet man die Inzidenzfälle pro 1000 Personen uninfizierter Bevölkerung, die von Statistik Austria für die Berechnung des Indikators hergenommen werden, kann man auch tatsächlich eine ansteigende Veränderung, im Jahr 2014 sogar eine Verdoppelung, erkennen. Dieser starke Veränderung nach oben hin ist allerdings auf die Einführung der Labormeldepflicht für Hepatitis B in Österreich 2014 zurückzuführen. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel dafür, warum die Auswahl und Messbarkeit der Indikatoren für die Zielerreichung der SDGs immer auch regionalen (politischen) Entscheidungen und Eingriffen unterliegt und das Ablesen einzelner Trends über vergleichsweise kurze Zeiträume (10 Jahre) deshalb nur mit Vorsicht passieren darf.
Wir verbrauchen immer mehr Energie
Eine der schwierigsten Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit ist der immer größer werdende Bedarf an Energie. Zu besseren Verdeutlichung, wie massiv der Energiebedarf Österreichs in den vergangenen Jahren angestiegen ist, habe ich auf Daten aus der Gesamtenergiebilanz Österreichs seit 1970 zurückgegriffen. Für ein besseres Verständnis wird im folgenden Abschnitt kurz die Maßeinheit Terajoule erklärt, die für die Angabe des gesamten Energieverbrauch in der Visualisierung verwendet wird.
1 Terajoule (TJ) entspricht rund 278 Mega-Watt/Stunden (MWh) Energie.
Ein Zwei-Personen-Privathaushalt benötigt rund 3,1 MWh elektrische Energie pro Jahr.
Mit 1 Terajoule können also ein Jahr lang knapp 90 Zwei-Personen-Privathaushalte mit elektrischer Energie versorgt werden. (Quelle)
Seit 1970 lässt sich ein starker Anstieg des Energieverbrauchs in Österreich erkennen. Auch in den Jahren von 2010 bis 2019, der von der Statistik Austria für die Messung eines Indikators des Ziels 7 “Bezahlbare und saubere Energie” herangezogen wurde, gab es keinen signifikanten Rückgang. Als Maximal-Zielwert gilt ein energetischer Endverbrauch von 1 050 000 Terajoule, der in keinem der vergangenen neun Jahre unterschritten wurde. Das hat laut Statistik Austria auch zur Einstufung als negativer Trend bei diesem Indikator geführt.
Der Gesamtenergieverbrauch lässt sich auf unterschiedliche Bereiche, also konkret auf den Industriesektor, den Dienstleistungssektor, die Landwirtschaft, die privaten Haushalte und den Verkehr aufteilen. Dabei gilt vor allem der Verkehr in Österreich als Sorgenkind. Er nahm 2019 immerhin mehr als ein Drittel (36,2%) der gesamten verbrauchten Energie in Anspruch.
Auch in Bezug auf Erreichung eines wichtigen Indikators des Nachhaltigkeitsziel 9 “Industrie, Verkehr und Infrastruktur” bzw. des Unterziels 9.1 schaut es mit dem Verkehr in Österreich nicht gut aus. Im Gegensatz zu den anderen Sektoren stieg der Energieverbrauch des Verkehrs in der Vergangenheit recht stetig an und hat bereits 1997 alle anderen Sektoren überholt. Laut Statistik Austria gab es seit 2010 eine Zunahme um 11 %, weshalb man auch hier von einem negativen Trend sprechen kann.
Österreich, das versiegelte Land
In einem kleinen und bergigen Land wie Österreich ist die Fläche, auf der wir Menschen uns ausbreiten können, knapp bemessen. Jene Fläche, die wir für Landwirtschaft, Siedlung und Verkehrsanlagen nutzen können, nennt man den Dauersiedlungsraum. Knapp 18,4 % des Dauersiedlungsraumes werden 2019 in Österreich in Anspruch genommen und 7,5% des Dauersiedlungsraumes gelten als versiegelt.
Definition Flächeninanspruchnahme/versiegelte Fläche:
Die Flächeninanspruchnahme bildet die Entwicklung von Flächennutzungen für Bau-, Verkehrs und
sonstige Zwecke (Freizeit- und Anbauflächen) ab. Also konkret geht es um jene Fläche, die der Mensch in irgendeiner Form für sich in Anspruch nimmt. Die versiegelte Fläche wiederum beschreibt jene Fläche des Bodens, die mit wasserundurchlässigen Schichten bedeckt wird (zum Beispiel Asphalt).
Wie hier sichtbar wird, ist die von Menschen in Anspruch genommene Fläche in Österreich in den vergangenen Jahren größer geworden. Seit 2010 hat sich die genutzte Fläche des österreichischen Bundesgebiets um 513 km² (9,8%) erhöht. Auch die versiegelte Fläche ist um 200 km², also circa die Hälfte des Stadtgebiets von Wien (414 km²), angestiegen. Diese Indikatoren sind im Teilziel 11.3 des Zieles “11 Nachhaltige Städte und Gemeinden” enthalten. Die Statistik Austria klassifiziert den Trend für die Flächeninanspruchnahme in ihrem Bericht als signifikante Bewegung weg vom Ziel.
Wenig Geld für Länder des globalen Südens
Nachhaltige Entwicklung auf einer globalen Ebene kann nur erreicht werden, wenn gemeinsam an einem Strang gezogen wird. Deshalb sollen die reicheren Länder, also die Länder des globalen Nordens wie Österreich und die meisten EU-Staaten, Länder des globalen Südens finanziell unterstützen, damit es auch für jene ressourcentechnisch möglich wird, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Zusammengefasst wird das mithilfe von unterschiedlichen Indikatoren in dem Ziel 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.
Zwei dieser Indikatoren können unter dem heute nicht mehr ganz zeitgemäßen Begriff “Entwicklungshilfe” zusammengefasst werden. Wie in der Visualisierung ersichtlich, ist Österreich bei den Ausgaben für die Unterstützung von Ländern des globalen Südens weit von den Zielwerten für 2030 entfernt. Österreich gibt nur einen kleinen Teil seines Bruttonationaleinkommens, also der gesamten von österreichischen Staatsbürger*innen erwirtschafteten Wirtschaftsleistung, für Unterstützungszahlungen an ärmere Länder aus. Die Statistik Austria hebt hervor, dass sich deren Lage besonders durch die Corona-Krise nochmals verschlechtert hat und besonders jetzt mehr finanzielle Unterstützung wichtig wäre.
Das Problem mit der Datenverfügbarkeit
Der Indikatorenbericht von November 2020 liefert den aktuellsten Stand der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in Österreich. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass der jeweilige Bericht immer nur eine Momentaufnahme liefert und die Erreichung der Ziele und ihrer Indikatoren sehr unterschiedlich gut beobachtet werden kann. Logischerweise kann nur die Erreichung jener Ziele bzw. ihrer Indikatoren überprüft werden, von denen Daten verfügbar sind. Kurz gesagt: Es steht und fällt alles mit der Verfügbarkeit der Daten für die Messung der Indikatoren. Konkret liegen laut Statistik Austria in Österreich für rund 17 % der von der UN vorgeschlagenen Indikatoren keine Daten vor. Das betrifft vor allem Ziel 15 “Landökosysteme” und Ziel 16 “Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen”, wo es große Datenlücken gibt. Die Statistik Austria plant in Zukunft nach fachlicher Rücksprache eventuell auch auf Daten von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zurückzugreifen, wodurch sich ein (noch) besseres Bild des Fortschritts von Österreich bei der Erreichung der SDGs ergeben würde.
Wie es auf europäischer Ebene mit den SDGs aussieht
Für alle, die es bisher geschafft haben, hab ich noch eine kleine “Spielerei”, ein SDG-Tool, der Europäischen Union eingebettet. Mit diesem Tool kann man selbst nachschauen, wie gut die EU bei den einzelnen Nachhaltigkeitszielen und ihren Unterzielen dasteht und in welche Richtung sich der Trend jeweils hinbewegt.
Viel Spaß beim Durchklicken!