Teilzeit und Altersarmut: Frauen am österreichischen Arbeitsmarkt

Systemrelevante Berufe. Ein Begriff, um den man im Jahr 2020 nicht herumgekommen ist. Man denkt an medizinisches Personal, Reinigungskräfte oder Supermarkt-Angestellte. In der von der Arbeiterkammer veröffentlichten “Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index sind elf Berufe als systemrelevant gelistet. In acht dieser elf Berufe arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer. Besonders hoch ist der Frauenanteil in der Kinderbetreuung (88%), im Einzelhandel (86%) und in der medizinischen Assistenz (80%). Laut Arbeiterkammer gehen Berufe mit hohem Frauenanteil auch mit einem hohen Grad an Flexibilisierung einher. Damit sind atypische Beschäftigungsverhältnisse gemeint, die nicht nur mit geringer sozialer Absicherung verbunden sind, sondern auch ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko mit sich bringen und wenig berufliche Entwicklung und Aufstieg ermöglichen.

Letzten November erschien das Buch „Leistungsklasse. Wie Frauen uns unbedankt und unerkannt durch alle Krisen tragen“ von Veronika Bohrn Mena. Die Autorin ist Gewerkschafterin bei der GPA-djp (Fusion aus Gewerkschaft der Privatangestellten und Gewerkschaft Druck, Journalismus, Papier) und Expertin für atypische Beschäftigung. Sie nimmt die Regierung in die Verantwortung, dass viele Menschen in Österreich nicht gleichberechtigt leben können – sprich Männer und Frauen in Partnerschaften sich die Erwerbsarbeit nicht gleichwertig aufteilen können,  weil Frauen nachwievor weniger verdienen als Männer, häufiger in Teilzeit beschäftigt sind, und Kinderbetreuungsplätze oftmals fehlen oder nicht leistbar sind. Bohrn Mena weist auch auf den geschlechtsspezifischen Unterschied von Altersarmut hin.

Altersarmut ist überwiegend Frauensache 

Laut Statistik Austria umfasst der Indikator Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung alle Personen, die armutsgefährdet und/oder erheblich materiell depriviert sind, sowie Haushalte mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität.* Allgemein gesprochen sind Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer. Bei der Bevölkerung über 65 Jahren ist die Geschlechterdifferenz besonders deutlich. Warum sind Frauen in der Pension häufiger von Armut bedroht als Männer?

 

 

Der Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt

Betrachtet man die Beschäftigungsrate von Frauen in den letzten 30 Jahren, ist ein deutlicher Zuwachs von Frauen am Arbeitsmarkt erkennbar. Auffällig ist hier eine Stagnation zwischen den Jahren 1995 und 2004.

 

Im Jahr 1993, so die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in ihrer Studie von 2011, wurde in Österreich ein Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geschaffen, welches für öffentlich Bedienstete des Bundes gilt und zu bestimmten Maßnahmen der Frauenförderung verpflichtet: zum Beispiel im Rahmen von Aus- und Weiterbildung, oder im Falle einer Einstellung, bei gleicher Qualifikation Frauen den Vorrang zu geben.

Laut ÖIF Forschungsbericht Nr. 19 lag im Jahr 1995 die Betreuungsquote der 0 bis 2-jährigen österreichweit bei 6%. Ab dem Folgejahr waren sechs der 24 Monate Karenzurlaubsgeld für den zweiten Elternteil, also de facto den Vater, reserviert. Auch wenn Österreich so eine der längsten und bestbezahltesten Väterkarenzzeit Europas hatte, gingen kaum Väter in Karenz, weil das Karenzgeld monatlich gering ausfiel.

Wenn Kinderbetreuungsangebote fehlen, hilft auch kein Karenzgeld beim Berufseinstieg 

Im Jahr 2002, so der Forschungsbericht, führte die Regierung Schwarz-Blau I das Kinderbetreuungsgeld ein. Im Unterschied zum Karenzurlaubsgeld wird das Kinderbetreuungsgeld an alle ausbezahlt – unabhängig von vorangegangener Erwerbstätigkeit. Allerdings blieb die arbeitsrechtliche Karenz unverändert: die Maximaldauer sollte weiterhin bei zwei Jahren liegen. Die Teilzeitkarenz wiederum wurde abgeschafft und stattdessen eine Zuverdienstgrenze während der Karenz festgelegt. Das Karenzurlaubsgeld sollte es Müttern ermöglichen, frei zu entscheiden, ob sie ihre Kinder selbst betreuen, oder aber einer Arbeit nachgehen und Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Dennoch hatte die Maßnahme kaum Auswirkungen auf den Wiedereinstieg von Müttern in die Erwerbstätigkeit, da das Kinderbetreuungsangebot für unter Dreijährige in weiten Teilen Österreichs kaum vorhanden war.

Im Jahr 2004 kam schließlich der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern, auch bekannt als Elternzeit. Dieser Rechtsanspruch bedeutet konkret, dass Eltern nicht nur Teilzeit arbeiten dürfen, sondern dass bis zum 4. Geburtstag des Kindes ein Kündigungs- und Entlassungsschutz besteht, danach ein Motivkündigungsschutz. Auch bringt die Elternzeit das Recht auf Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit mit sich. Ab dem Jahr 2004 stieg die weibliche Beschäftigungsrate wieder.

Pensionsreformen: Frauen über 50 werden am Arbeitsmarkt präsenter

Aufgrund der Tatsache, dass die Höhe der Pensionsleistungen auf Basis des Einkommens sowie auf Basis der Kontinuität und Dauer der Erwerbstätigkeit errechnet wird, sind Frauen im österreichischen Pensionssystem strukturell benachteiligt. Eine durchgehende 40-jährige Vollzeiterwerbstätigkeit, welche die Voraussetzung für eine ausreichende Absicherung im Alter ist, ist für viele Frauen nicht realistisch. Aus der 2011 veröffentlichten Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) geht hervor, dass im Jahr 2009 die durchschnittliche neu zuerkannte Alterspension von Frauen nur etwa 60% der Alterspension von Männern entsprach.

Laut FORBA haben die Pensionsreformen von 2003 und 2004 mit der Einführung der sogenannten „lebenslangen Durchrechnung“ die geschlechtsspezifische Diskriminierung nur noch verschärft. Das Niveau der Pensionsleistungen wurde nochmals verstärkt mit der individuellen Erwerbsbiographie verknüpft, sprich mit dem Lohn, der in den Jahren der Erwerbstätigkeit verdient wurde. Die Pensionsreform von 2004 ist 2005 in Kraft getreten und seither ist der Anteil der Frauen über 55 am Arbeitsmarkt besonders stark gestiegen.

 

 

Unterschiede in der geschlechtsspezifischen Arbeitszeit

Laut WIFO sind typische Frauenbranchen der Handel sowie das Gesundheits- und Sozialwesen – hier sind Teilzeitquoten der Frauen auch besonders hoch. Die höchste Teilzeitquote weisen Frauen in Hilfsleistungsberufen aus, gefolgt von den Dienstleistungsberufen. Selten hingegen sind Frauen, die eine Führungsposition Teilzeit ausüben.

Die Novelle des Arbeitszeitgesetztes von 2008, so FORBA, zielt auf ein höheres Maß an Arbeitszeitflexibilität. In der Realität hat sie den Gegensatz zwischen kurzer Teilzeitarbeit für Frauen und langer Vollzeitarbeit für Männer verschärft: durch die mögliche Ausdehnung der wöchentlichen bzw. täglichen Arbeitszeit auf maximal 60 bzw. 12 Stunden wird es für Frauen mit Betreuungspflichten noch schwieriger, eine Vollzeitstelle anzunehmen. Gleichzeitig wird es so auch für Männer, die Vollzeit arbeiten, schwieriger, sich Betreuungspflichten mit Frauen aufzuteilen.

„Umverteilung von Arbeit, Zeit und Geld“

Veronika Bohrn Mena appelliert an die Politik, endlich Gleichstellung zu ermöglichen: sie plädiert für eine allgemeine Reduktion der Arbeitszeit auf 30 Stunden, damit eine gleichmäßige Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit stattfinden kann. Ebenso sieht Bohrn Mena die Notwendigkeit für eine verpflichtende Offenlegung der Gehälter in jedem Unternehmen, sowie einen Ausbau der kostenlosen Kinderbetreuung in ganz Österreich.

 

* Berechnet wird die Armutsgefährdung anhand des verfügbaren Haushaltseinkommens dividiert durch die Summe der Konsumausgaben. Im Jahr 2019 lag die Armutsgefährdungsschwelle bei 15 437 Euro für einen Einpersonenhaushalt – das entspricht 1 286 Euro pro Monat.

 

Quellen:

https://www.moment.at/story/veronika-bohrn-mena-frauen-zerreissen-sich-und-fuehlen-sich-trotzdem-wie-versagerinnen

https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/armut_und_soziale_eingliederung/index.html

Daniel Schönherr, Martina Zandonella: Arbeitsbedingungen und Berufsprestige von Beschäftigten in systemrelevanten Berufen in Österreich. Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index. Endbericht. Im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Stand Juni 2020.

Ingrid Mairhuber: Übergänge im Lebenserwerbsverlauf von Frauen und Männern. Herausforderungen und geschlechterdemokratische Perspektiven für Österreich. FORBA Forschungsbericht 1/2011.

Sonja Dörfler, Georg Wernhart: Die Arbeit von Männern und Frauen. Eine Entwicklungsgeschichte der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung in Frankreich, Schweden und Österreich. Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF) Forschungsbericht Nr. 19, März 2016.

Ulrike Huemer et al.: Österreich 2025: Arbeitszeitverteilung in Österreich. Analyse und Optionen aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Jänner 2017.

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