Seit 1989 können Väter in Österreich in Karenz gehen. Doch Studien zeigen, wie ungleich die Kinderbetreuung in Jung-Familien dennoch hierzulande aufgeteilt ist: Nur jeder fünfte Vater nimmt Karenzzeit in Anspruch. Eine Analyse über Rollenbilder und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Elternzeit.
Wien, Österreich. Als junges Elternpaar steht man vor vielen Herausforderungen und vor allem der Frage, wie sich die Zeit mit dem Kind mit dem Beruf und der finanziellen Situation vereinbaren lässt. In Österreich gibt es für diesen Fall ein vielschichtiges Karenz-System. Bei der Karenz handelt es sich laut Mutterschutzgesetz (MSchG) und Väter-Karenzgesetz (VKG) um einen arbeitsrechtlichen Anspruch von unselbständig erwerbstätigen Eltern, sich gegenüber dem/der Arbeitgeber:in von der Arbeitsleistung freistellen zu lassen, ohne dabei Lohn bzw. Gehalt zu bekommen. Dieser Anspruch besteht längstens bis zum zweiten Geburtstag des Kindes. Damit ist jedoch nur die arbeitsrechtliche Seite gedeckt. Um in dieser Zeit auch finanziell abgesichert zu sein, gibt es seit 2002 das sogenannte Kinderbetreuungsgeld (KBG). Das KBG steht allen Eltern nach der Geburt des Kindes zu, unabhängig von einer zuvor ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Wer das KBG in Anspruch nimmt bzw. wie sich Kinderbetreuung im weiteren Sinne auf die Geschlechter aufteilt, zeigt das Wiedereinstiegsmonitoring 2021 der L&R-Sozialforschung, im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Wien (AK Wien). Analysiert und ausgewertet wurden die Daten von 760.897 Personen, die zwischen 2006 und 2018 in Österreich Kinder bekommen haben (ausgenommen Selbstständige und Beamte). Die Ergebnisse gehen auseinander: Während sich die Zahl der männlichen KBG-Bezieher zwischen 2006 und 2018 mehr als verdoppelt hat, gehen Männer in acht von zehn Paaren weder in Karenz noch beziehen sie Kinderbetreuungsgeld. Damit ist auf Basis dieser Daten de facto jeder fünfte Vater an keinerlei Kinderbetreuung in den ersten Lebensjahren des Kindes beteiligt.
Im Detail nehmen auch die restlichen 20 Prozent der Väter nur eine kurze Variante in Anspruch: Zehn Prozent gehen nicht länger als drei Monate in Karenz, zwei Prozent drei bis sechs Monate und nur ein Prozent bleibt länger als ein halbes Jahr zuhause. Die restlichen sechs Prozent beziehen zwar Kinderbetreuungsgeld, unterbrechen aber ihre Erwerbstätigkeit nicht.
Warum ist das so?
Um dem fehlenden männlichen Anteil auf den Grund zu gehen, muss man sich die Entwicklung der letzten 20 Jahre, insbesondere die des KBG, genauer ansehen. Das Kinderbetreuungsgeld war seit seiner Einführung 2002 geprägt von zahlreichen Reformen. Bis 2008 gab es eine Pauschalvariante mit 30+6 Monaten: Ein Elternteil kann das KBG bis zur Vollendung des 30. Lebensmonats des Kindes beziehen. Wenn mit dem anderen Elternteil abgewechselt wird, kann das KBG sechs weitere Monate, also maximal bis zum dritten Geburtstag des Kindes, ausbezahlt werden. 2008 kamen zu der Variante die Modelle 20+4 und 15+3 Monate hinzu, 2010 eine weitere kurze Variante (12+2 Monate) und außerdem die Einführung eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes, um den mit der Geburt verbundenen Verdienstentfall für die Eltern möglichst gering zu halten und eine rasche Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen. Nun standen den Eltern nach der Geburt also fünf Wahlmöglichkeiten zur Verfügung. 2017 trat nach einer weiteren Reform die bis heute geltende Regelung aus zwei Systemen in Kraft: Das einkommensabhängige KBG und die Pauschalvarianten neu zusammengefasst im sogenannten KBG-Konto.
Das Ringen um die Väter
Um die berufliche Auszeit allgemein attraktiver zu machen und insbesondere den männlichen Anteil in der Karenzzeit zu erhöhen, wurde 2017 neben der KBG-Novelle auch der sogenannte Partnerschaftsbonus eingeführt: Haben beide Elternteile Kinderbetreuungsgeld mindestens im Ausmaß von 124 Tagen zu annähernd gleichen Teilen (50:50 bis 60:40) bezogen, so bekommen sie jeweils einen einmaligen Bonus in Höhe von 500 Euro ausbezahlt. Das Österreichische Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien hat sich in einer im März 2022 veröffentlichten Meta-Analyse unter anderem damit beschäftigt, welche Auswirkungen derartige Boni auf das KBG-Model im beobachteten Zeitraum 2018 bis inklusive 2021 haben. Das Ergebnis: Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Partnerschaftsbonus wussten 40 Prozent der Befragten nicht, dass dieser überhaupt existiert.
Ein weiteres Mittel, um Väter bei der Kinderbetreuung in den Vordergrund zu rücken, sollte der Familienzeitbonus sein: Väter, die unmittelbar nach der Geburt ihre bisherige Erwerbstätigkeit für einen Monat unterbrechen, erhalten einen Familienzeitbonus in der Höhe von 700 Euro. Dieser Papamonat hat allerdings auch einen Nachteil: Bezieht der Vater zu einem späteren Zeitpunkt auch Kinderbetreuungsgeld, wird der Bonus vom KBG abgezogen. Das Wiedereinstiegsmonitoring 2021 der AK hat ergeben, dass die Zahl der männlichen Kinderbetreuungsgeld-Bezieher im letzten Beobachtungsjahr 2018 erstmals sogar rückläufig ist, was mit der Einführung des Familienzeitbonus zusammenhängen könnte. Nur wenige Väter nehmen außerdem sowohl den Papamonat als auch eine längere Karenzzeit in Anspruch.
Die Regierung hat diesbezüglich schon mehrfach betont, weitere Anpassungen im Gesetz vorzunehmen. Bisher ohne Antwort. Und schon bei der letzten Novelle 2017 bleibt offen, ob die derzeitige Lage auch tatsächlich ernst genommen wird. Das Sozialministerium (damals unter Minister Alois Stöger, SPÖ) beschreibt die Situation in einer Informationsbroschüre für Karenz folgendermaßen: „Immer mehr Männer wollen Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen, eine innigere Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und intensiver an der Kindererziehung und -betreuung mitwirken. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist also längst kein reines ,Frauenthema‘ mehr.“ Doch damals wie heute zeigen die Meta-Analyse des ÖIF und das Wiedereinstiegsmonitoring 2021 der AK auf, dass das Problem nicht daran liegt, dass Väter weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen und deshalb weniger Karenz in Anspruch nehmen. Vielmehr geht es in den meisten Fällen um finanzielle Entscheidungen, die Frauen eher in die Karenz drängen als Männer.
Langfristige Nachteile für Frauen
Die Analyse der AK zeigt klar auf: Je höher das Einkommen des Vaters, desto kürzer fällt die Karenz aus. Und: Männer verdienen nach der Karenz langfristig sogar besser, während Frauen hingegen schlechter verdienen. Im Untersuchungszeitraum 2006 bis 2018 nehmen 54 Prozent der Frauen vor der Geburt des Kindes mindestens 2.000 Brutto/Monat ein, zwölf Jahre später sind es nur mehr 47 Prozent. Bei den Männern ist der Effekt umgekehrt: Vor der Geburt verdienen 66 Prozent der Männer mindestens 2.000 Brutto/Monat, zwölf Jahre später sind es 74 Prozent. Gründe für diesen Unterschied sind laut AK, dass Frauen deutlich länger durchgehend in Karenz gehen und danach zum Großteil teilzeitbeschäftigt sind, während Männer nach der Karenz fast ausschließlich einer Vollzeit-Beschäftigung nachgehen.
Auch die Wahl des Berufsfeldes schlägt in der Statistik auf: Väter, die im Sozialwesen arbeiten, nehmen am ehesten eine längere Karenzzeit. Wohingegen Väter mit einem Arbeitsplatz in der Finanz- und Versicherungsbranche, am Bau oder in der Waren-Produktion nur wenig wahrscheinlich in längere Karenzen gehen.
Darüber hinaus gibt es ein Stadt-Land-Gefälle: Väter mit Wohnsitz in der Stadt nehmen deutlich längere Karenzen in Anspruch als Väter in ländlichen Gebieten. Dies könnte laut AK mit traditionellen Rollenmustern zusammenhängen, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung in manchen ländlichen Regionen verstärkt werden. Im gesamt-österreichischen Vergleich aller Personen, die KBG beziehen und zuvor erwerbstätig waren, lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede erkennen: Frauen finden sich häufiger im ländlichen Raum als in mittelgroßen Besiedelungsräumen (Städte und Vororte) und urbanen Zentren (zum Beispiel Wien). So waren im Jahr 2018 rund 43 Prozent der Frauen in ländlichen Gebieten beheimatet und jeweils 29 Prozent in Städten/Vororten und urbanen Zentren. Männer hingegen sind häufiger in urbanen Räumen zuhause: Im Jahr 2018 waren dies 41 Prozent. Ein Viertel aller vor KBG-Bezug überwiegend beschäftigter Männer hatten ihren Wohnsitz in Städten/Vororten und 34 Prozent im ländlichen Raum.
Und jetzt?
ÖIF und AK sehen Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen: Die Väterbeteiligung gesetzlich zu regeln, wie dies zum Beispiel in Island der Fall ist, wäre eine Möglichkeit. Im isländischen Karenzmodell sind drei Monate für die Mutter vorgesehen, drei für den Vater und drei stehen zur freien Wahl. Jene Monate, die nicht in Anspruch genommen werden, verfallen. Der Anteil der Väter in Karenz ist seit der Einführung von 30 Prozent auf 90 Prozent gestiegen. Eine gesetzliche Änderung, aber auch Anreize und Förderungen auf Seite von Unternehmen und Arbeitgeber:innen hätten positive Auswirkungen auf traditionelle Rollenbilder und einen Kulturwandel zur Folge.
Wie die Analysen zeigen, wäre ein weiterer, einfacher Schritt die Auszahlung des Familienzeitbonus, ohne dabei im Nachhinein das KBG gekürzt zu bekommen. Es bedarf außerdem mehr Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf die einzelnen KBG-Modelle und Boni. Und der ÖIF weist darauf hin, dass die Karenz als arbeitsrechtliche Rahmenbedingung für einen Teil der Bezieher:innen Ausschlag darüber gibt, welche KBG-Variante sie wählen. Es wäre in diesem Sinne, Karenz und KBG, die jeweils getrennt voneinander abgewickelt werden (Karenz seitens Arbeitgeber:in, KBG seitens Krankenversicherungsträger), zusammenzuführen und dementsprechend zu adaptieren.